Grundsätzlich empfehlen die Hersteller von Kletterausrüstung Seile, Gurte und Co. nach spätestens zehn Jahren auszusortieren. Außer wenn sie beschädigt sind, dann freilich schon früher. Doch die wenigstens Kletterer halten sich an diese Empfehlung. Walter Siebert hat jetzt für das Magazin „berg und steigen“ getestet, wie lange Polyamid-Ausrüstung wirklich hält, was sie verspricht.
Im Rahmen seiner Masterarbeit hat sich der Bergführer und Alpinsachverständige Walter Siebert über zwei Jahre lang mit folgender Frage beschäftigt: Wie lange hält Ausrüstung aus Polyamid eigentlich wirklich? Seine Recherche begann er in der Fachliteratur. Dort stellte sich schnell heraus, Unfälle mit gerissenen Bandschlingen sind gut dokumentiert, auch Gurte sind schon gerissen. Letztere aber nur, wenn sie schon stark verschlissen waren. Heutige Seile scheinen bei normaler Belastung allerdings nicht mehr zu reißen, egal, wie alt sie sind.
Verschlissenes Material wird aussortiert
Diese These haben Siebert auch Gespräche mit Experten bestätigt. Nach Herstellerempfehlung sortiert eigentlich niemand aus, außer Industriekletterer. Ansonsten gilt für die meisten nur ein Kriterium: Der Verschleiß. Selbst die Hersteller seien sich bei ihren Angaben nicht einig. Für ein Seil aus gleichem Material und mit der gleichen Normierung liegen die Empfehlungen zwischen vier und 15 Jahren.
Mindesthaltekraft: 900 Kilogramm
Siebert machte sich also daran selbst zu testen, was alte, teilweise offensichtlich beschädigte, Seile noch aushalten. Dazu hat er eigene Seile und Gurte getestet, die um die 40 Jahre alt waren, aber auch seltene Fundstücke, wie etwa ein Seil, das 60 Jahre eingefroren neben einer Gletscherleiche lag. Auch lange verwendete Top-Rope-Seile hat er einer Zerreißprobe unterzogen. Dazu spannte er die Seile in eine Zerreißmaschine ein, die fünf Tonnen Zugkraft und einen Meter Hub hatte. Als rote Linie galten neun Kilonewton, das entspricht 900 Kilo Belastung. Mehr als sechs Kilonewton würde man bei normaler Nutzung nicht auf ein Seil bringen, deshalb wäre das eine sichere Grenze, meint Siebert. Hält ein Seil die 900 Kilo Belastung nicht aus, gilt es als gefährlich.
Seile und Gurte halten, unabhängig vom Alter
Die Untersuchung hat ergeben, dass Seile, deren Mantel nicht beschädigt ist und die in den letzten 40 Jahren normgemäß produziert wurden, den Test bestanden. Eine Ausnahmen waren stark „durchgewalkte“ Top-Rope-Seile. Die Gurte teste Siebert mittels eines Dummies aus Holz. Eine Schwächung der Haltekraft aufgrund der Jahre, die die Gurte in Verwendung waren, konnte er nicht feststellen. Alle Erwachsenengurte hielten sogar mehr als die 900 Kilogramm Belastung aus. Aber Achtung: Das gilt nur, solange die Gurte nicht stark verschlissen sind!
Kein Vertrauen in Bandschlingen
Bei den Bandschlingen kommt Siebert zu dem Schluss, dass sie nicht sicher sind, auch, wenn von außen keine direkte Beschädigung zu erkennen ist. Diese Schlingen haben lange im Freiem gehangen, weshalb Siebert empfiehlt diesen nicht zu vertrauen und sie nur in Kombination mit einer zusätzlichen Sicherung zu verwenden.
Die Schlussfolgerung: „Maximale Nutzungsdauer – unbegrenzt“ sollte es laut Siebert bei Seilen und Gurten heißen. In Sachen Bandschlingen empfiehlt Siebert keinen Schlingen zu vertrauen, die im Freien hängen oder längere Zeit draußen befestigt waren. Diese sollen nur mit einer zusätzlichen Sicherung verwendet werden. Am besten mit Backup aus einem Statik- oder Kletterseil.
Kriterien, nach denen Ausrüstung abzulegen ist:
- Material, dass mit Batteriesäure oder ähnlichen Chemikalien in Berührung kam.
- Ausrüstung, die über 120 Grad Celsius ausgesetzt war, Schmelzspuren erkennbar sind und das Material stellenweise schon sehr steif ist.
- Wenn der Seilkern sichtbar ist oder das Seil auffällig dünne Stellen hat.
- Top-Rope-Seile sollten nicht für hohe Belastungen, etwa statische Faktor-2-Stürze oder Seilbrücken verwendet werden.
- Gurte nicht in der Sonne liegen lassen!
- Schlingen, die lange im Freien hingen, nicht vertrauen. Besser Seilstücke verwenden.