Die Diagnose Demenz bedeutet für viele Menschen der Verlust der Selbstständigkeit und das Angewiesensein auf Pfleger und Pflegerinnen. Ein Projekt will den Betroffenen wieder mehr Entscheidungsfreiheit und Bewegung ermöglichen: In der Kletterhalle.
Je älter Menschen werden, desto mehr steigt das Risiko an Demenz zu erkranken. Laut Sozialministerium leben in Österreich derzeit 115.000 Menschen mit der Krankheit. Sie verlieren nach und nach kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten. Vor allem betroffen sind das Kurzzeitgedächtnis, das Denkvermögen, die Sprache, die Motorik und in vielen Fällen die Persönlichkeit. Die Folge: Oft müssen sie in Institutionen oder von Pflegern betreut werden.
Demenz bedeutet Rollenverlust
Dort gibt es meist einen geregelten Ablauf, selbst Entscheidungen treffen müssen die Betroffenen oft nicht mehr. Das führt auch zu einem Rollenverlust, schreiben Hermann Wiesinger und Sabinge Wögerbauer im Magazin „Bergauf„. „Sehr schnell wissen andere, was gut für uns ist“, heißt es weiter. Wiesinger ist Kommunikations- und Klettertrainer, auch im therapeutischen Bereich. Wögerbauer ist Experting für Demenzstudien.
Inklusion statt Überbehütung
Mit ihrem Projekt wollen sie Menschen mit Demenz wieder ein Stück mehr Entscheidungsfreiheit und Abwechslung ermöglichen. Sie sind der Meinung, dementielle Menschen gehören in die Gesellschaft inkludiert und begleitet, aber nicht überbehütet. Deshalb begleiten sie jene, die es wollen, zwei Mal im Monat in die Kletterhalle.
Klettern mit Demenz: Spaß an der Bewegung
Im Vordergrund steht die Bewegung und der Spaß und das Selbstkonzept der Menschen wieder zu verändern. Verlieren Menschen ihre Sinne, würden sie auch das Vertrauen in ihre Fertig- und Fähigkeiten verlieren und weniger Mut haben, etwas auszuprobieren, schildern die Autoren. Weil sie beim Klettern selbst entscheiden können, welchen Griff sie verwenden und wie hoch sie hinauf wollen, und sich der Körper an verschiedenste Bewegungsabläufe erinnert, hätten die Betroffenen wieder mehr Selbstbewusstsein, sind sich die beiden sicher.
Vertrauen als Wegbereiter an die Kletterroute
Der Weg eines dementen Menschen an die Kletterwand führe über Vertrauen: Technische und wissenschaftliche Erklärungen würden nichts bringen, erklären Wiesinger und Wögerbauer. Das Klettern beginnt nicht mit dem ersten Griff, sondern mit der Idee, es überhaupt zu versuchen. Respektvolle Kommunikation und die Möglichkeit, jederzeit „Nein“ sagen zu können, bauen Vertrauen zwischen Sicherer und Kletterer auf. Als Sicherer eines dementen Kletterers spiele Körpersprache eine entscheidende Rolle, heißt es im Bericht. Nicht nur müsse man besonders auf nonverbale Signale des Kletterers achten, sondern auch selbst viel über Mimik und Gestik kommunizieren. Das gebe Sicherheit.
Spielerisches Training beugt Stürze vor
Die Freude über den eigenen Erfolg, das Geschaffte würden das Selbstverständnis der Menschen verändern. Zudem sei uns Klettern quasi in die Wiege gelegt, es sei ein ureigener Bewegungsablauf, den wir schon als Kinder automatisch beherrschen würden, beschreiben die Autoren. Spielerisch trainiert werden Ausdauer, Beweglichkeit, Kraft und koordinative Fähigkeiten: Es diene also auch der so wichtigen Vorbeugung von Stürzen.
„Deshalb sind es gute Entscheidungen“
Festgestellt haben die beiden, dass Menschen mit Demenz anders klettern. Sie erspüren die Griffe zuerst, testen, ob sie ihnen vertrauen oder nicht und dann erst geht es weiter. Ein Antizipieren der Griffe auf gut Glück und dynamische Bewegungen kommen nicht vor. Die Menschen treffen eigene Beschlüsse und merken, dass es funktioniert: „Alleine schon deshalb sind es gute Entscheidungen, die sich in freudvollen Gesichtern wiederspiegeln.“